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Eine spannende Fundgrube voll mit Geschichte(n)

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Regelmäßig ist Thomas Sock in der Friedrich-Ebert-Siedlung unterwegs, die er auch gerne auf Stadtteilrundgängen erklärt.
Regelmäßig ist Thomas Sock in der Friedrich-Ebert-Siedlung unterwegs, die er auch gerne auf Stadtteilrundgängen erklärt. © Rainer Rüffer

Zu Besuch in der Friedrich-Ebert-Siedlung im Frankfurter Gallus

Thomas Sock geht gerne zur Wahl. „Vor allem, wenn das Wahllokal in dem Klassenzimmer der Bürgermeister-Grimm-Schule eingerichtet wird, in dem ich mein zweites Schuljahr verbracht habe“, sagt er. Aber auch sonst wählt der 72-jährige, der eigentlich nördlich der Mainzer Landstraße wohnt, gerne die südliche Seite und schaut in „seiner“ Friedrich-Ebert-Siedlung vorbei.

„Hier sind mein Vater und ich zur Schule gegangen, hier gehe ich zu meiner Hausärztin“, erklärt Sock. Oder zum Naturfreundehaus mit seinem Flohmarkt und gut besuchtem Sonntagscafé. „Außerdem kenne ich hier viele angestammte und vertraute Leute, die mich mit ihren Erinnerungen zu neuen Forschungen und Awo-Rundgängen inspirieren.“ Denn seit 2011 geht Sock der Geschichte und Architektur dieser Siedlung nach - eine spannende Fundgrube zwischen Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Nachkriegszeit.

Einen Lieblingsplatz in der Siedlung hat Sock freilich auch. „Der Grünzug im Block an der Teves- und Steuernagelstraße, einer der schönsten Orte im ganzen Stadtteil“, findet er. Denn dort atmet die Siedlung noch den natürlichen Charakter der Gartenstadt aus der Pionierzeit von Ernst May, der den Charakter des Wohnviertels prägte, auch wenn der typische Stil wegen mancher Neubauten der Nachkriegszeit nicht mehr überall so zutage tritt wie in der Hellerhofsiedlung schräg gegenüber.

Und doch hat man auch in sparsamen Zeiten an die nötige Infrastruktur gedacht, die Sock bei seinen Rundgängen gerne zeigt: Die Vorbauten mit Waschküchen und Torgängen als Treffpunkte, die heutzutage etwas ausgedünnten Ladenzeilen. „Ich kaufe hier auch im türkischen Supermarkt ein, aber da kriege ich keine Leberwurst“, räumt Sock achselzuckend ein.

Noch älter als die Siedlung sind die Bürgermeister-Grimm- und die Ackermannschule, ursprünglich als getrennte Mädchen- und Jungenschule gebaut. Die Friedrich-Ebert-Siedlung selbst wurde in drei Bauabschnitten verwirklicht: Von 1929 bis 1930 entlang der Mainzer Landstraße und Ackermanntraße bis zur Cordierstraße. „Da gab es wegen der Wirtschaftskrise nur noch wenig Geld in der Stadtkasse, so dass aus Küchen und Waschhäusern eher Kochnischen und Waschbaracken wurden“, erklärt Sock.

Der zweite Bauabschnitt folgte von 1932 bis 1934 bis zur Steuernagel- und Tevesstraße, der dritte von 1937 bis 1938 bis zur Kleyerstraße. Die Siedlung hieß nun nach der beteiligten Stiftung Tornowsiedlung, da der Sozialdemokrat Friedrich Ebert unter den Nazis nicht länger Namenspate sein durfte. „Aber 1933 kurz nach Hitlers Machtergreifung rauften sich die linken Antifaschisten in der Siedlung noch mal zusammen und verhinderten ein Großaufgebot der Nazis“, betont Sock.

Und doch blieb unweit des KZ Katzbach in den Adlerwerken auch das Areal der Friedrich-Ebert-Siedlung nicht von Zwangsarbeit verschont: Auf der Ackermannwiese entstand an der Stelle des heutigen Sportplatzes 1943 bis 1944 ein Lager für Belgier und Franzosen, noch weiter westlich auf dem Gebiet der heutigen SG Westend ein Lager für die Russen.

Die Nachkriegszeit der Siedlung begann im März 1947 mit einer Mammutaufgabe für Walter Kolb (SPD): Pünktlich zum 100. Geburtstag der Deutschen Nationalversammlung wollte der Oberbürgermeister bis 1948 die zerstörte Paulskirche wiederaufbauen - doch etliche Frankfurter warfen ihm vor, den wesentlich dringenderen Wiederaufbau von Wohnungen zu vernachlässigen. Prompt absolvierte Kolb am 17. März zwei Grundsteinlegungen: um 7.45 Uhr am Paulsplatz und eine Dreiviertelstunde später in der Cordierstraße .

Ein Jahr später konnte dann auch in der Friedrich-Ebert-Siedlung die Fertigstellung der ersten Wohnblöcke gefeiert werden. Mitte der 1950er Jahre kam noch der untere Abschnitt in der Sonders-hausenstraße hinzu, in dem die evangelische Versöhnungskirche gebaut wurde. Heute gehört die wachsende Zahl älterer Protestanten zur Gemeinde Frieden und Versöhnung, die Versöhnungskirche wird von orthodoxen Serben genutzt und umgebaut.

Doch mit der neuen Siedlung auf dem südlich benachbarten Avaya-Gelände bekommt die Friedrich-Ebert-Siedlung Zuwachs: „Die rund 1200 neuen Wohnungen werden von vielen hier sehr kritisch gesehen“, sagt die Anwohnerin Claudia Amberg. Vor allem, weil sich die Parkplatznot und Abfallprobleme in den Grünanlagen verschärfen könnten. Auch wenn ein neuer Supermarkt und eine Bäckerei die Einkaufsmöglichkeiten verbessern. „Doch wenn die Infrastruktur nicht mehr ausreicht, fühlen sich die Leute abgehängt“, befürchtet auch Sock und verweist auf die Europawahl - und 17,6 Prozent für die AfD.

Die Häuser in der Ackermannstraße mit dem markanten Wandgemälde.
Die Häuser in der Ackermannstraße mit dem markanten Wandgemälde. © Rainer Rüffer
Nicht nur, wenn Flohmarkt ist, ein beliebter Treffpunkt: das Naturfreundehaus.
Nicht nur, wenn Flohmarkt ist, ein beliebter Treffpunkt: das Naturfreundehaus. © Rüffer

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